Klangrausch - unplugged

Bildergeschichten: Musik wie gemalt ...

 

Ich liebe Comics und Graphic Novels, wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass sich diese Leidenschaft mit der für Musik verbinden lässt. Bis ich David Prudhommes Album Rembetiko in die Finger bekam. Dieser wunderbare Zeichner macht Musik und Tanz fassbar, so lebendig und einfühlsam stellt er seine Figuren, abgerissene Rembetes dar, die sich im faschistischen Griechenland des Jahres 1936 mit Witz und Schläue durchschlagen.

Dem letzten Absatz des Kollegen von der taz muss ich widersprechen: Ich sehe nicht nur Musiker und Tänzer, ich höre sie auch.

 

In meinem Bücherschrank steht auch Polina von Bastien Vivès, eine Liebeserklärung an den Balletttanz. Im Zentrum steht eine junge Frau, die sich zur erfolgreichen Tänzerin entwickelt und dabei ihre Unabhängigkeit bewahrt.

Weniger gut kommen Musiker und Sängerinnen in den Comics meiner Kindheit weg: Ich denke etwa an Bianca Castafiore aus Tim und Struppi. Die Juwelen der Sängerin, die mit ihrem Koloratursopran vor allem Kapitän Haddock in die Flucht schlägt. Die "Mailänder Nachtigall" singt - zumindest im Comic - immer nur die Juwelen-Arie aus Charles Gounods Oper Margarethe. Ich möchte die Gute, die immerhin an der Mailänder Scala engagiert ist, gern in Schutz nehmen vor dieser einseitigen und sicherlich ungerechten Darstellung! Andererseits: Es geht bei Tim und Struppi eigentlich immer um Klischees, und die werden hier schlicht und einfach bedient. Trotzdem, ein bisschen weniger eindimensional und etwas liebevoller hätte Hergé schon mit der Dame umgehen können, so eine Operndiva leistet schon eine ganze Menge!

Der Beste von allen ist aber Troubadix. Der arme Kerl, beseelt von Musik und berauscht vom eigenen Gesang, geistert als Running gag durch die Asterix-Bände. Natürlich ist sein Liedgut zweifelhaft und seine Performance schauerlich, und so endet er meistens gefesselt und geknebelt am oder unter dem Baum, wenn die Gallier ihr bestandenes Abenteuer feiern. Dabei wird nicht nur geschlemmt und gebechert, sondern gelegentlich auch gesungen und getanzt. Doch auch Troubadix bekommt seine fünf Minuten im Rampenlicht: Den Normannen darf er Angst einjagen, nachdem der junge Grautvornix als Beatnix das gallische Dorf mit unkonventioneller Musik aufgemischt hat. Wer da bei "Yeah yeah" nicht an die Beatles denkt, der hat die 1960er Jahre komplett verpasst. Bei Uderzo und Goscinny darf sogar eine Frau auf die Pauke hauen: Maestria, die mit ihren emanzipierten Sprüchen die Gallierinnen rebellisch macht, singt dazu, weil "nur Schlaginstrumente in der Lage sind, das lyrische Moment der modernen Dichtung zu transzendieren". Das sagt sie doch richtig schön!

Für Ralf König, der mich seit Jahrzehnten mit seinen präzise beobachteten Geschichten begeistert, ist Musik ein integraler Bestandteil homo- und heterosexuellen Lebens. In früheren Jahren sprengten seine prallen Gestalten schon mal das immer gleiche Ritual im gediegenen Konzertsaal lustvoll auf, setzten sich quicklebendige Ballerinos leichtfüßig über die Grenzen der Schwerkraft und der Geschlechterzuschreibung hinweg. Immer wieder mal schlüpfen Transvestiten in die Rollen großer Sängerinnen wie Barbra Streisand, die Diseuse Georgette Dee hat wie Marianne Rosenberg ihre Auftritte. Der feingeistige Konrad aus der Serie Konrad und Paul ist Klavierlehrer – hier ist der Beruf eindeutig Charaktermerkmal. Schlechter Musikgeschmack hat für Ralf König übrigens einen Namen: Milli Vanilli. Und mir gefällt besonders die lautmalerische Darstellung von Disco-Musik: „Buffta, buffta“ – mehr brauche ich davon nicht!

Eine Klasse für sich und ganz und gar unvergessbar ist Loriot. Ob Blaskapelle, singende Männercombos oder das merkwürdige Verhalten der lieben Zeitgenossen im Konzertsaal: Sein scharfer Blick und der Sinn für’s Timing sind unübertroffen. Mutters Klavier, die Jodelschule, seine Texte für Wagners Ring des Nibelungen an einem Abend, zu Prokofjews musikalischem Märchen Peter und der Wolf und zu Saint-Saëns’ Karneval der Tiere … Anhören!

 Last, but not least der Urvater des Comics: Wilhelm Busch. Obwohl wir ihm Aphorismen wie “Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden” verdanken, hat er dem selbstverliebten Pianisten und seinem hingerissenen Zuhörer in Der Virtuos ein bleibendes Denkmal gesetzt. Ironische Satzbezeichnungen, dazu wirbelnde Noten, Frackschwänze, Taschentücher, Haare und Hände auf Seiten des Klavierspielers, Ohren wie Rhabarberblätter und Stielaugen, ja Adagio con Sentimento-Tränen auf Seiten des Zuhörers – Busch erzählt in wenigen Bildern eine komplette Geschichte, ohne aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Dazu passt jetzt noch ein Aphorismus: „Ein Onkel, der Gutes mitbringt, ist besser als eine Tante, die nur Klavier spielt.“ Schnöder Materialismus!


Ein Leben ohne Musik ist möglich, aber sinnlos.